Überraschungen

Wenn man von den langjährigen Beziehungen zwischen Vaterstetten und Allauch spricht, kann man das auch sehr wörtlich nehmen: Nicht nur freundschaftliche Beziehungen gab es von Anfang an, sondern manche “Beziehung” hat auch zur Ehe geführt! Ist es erstaunlich, dass es immer Vaterstettener Damen waren, die nach der Hochzeit gern in die Provence übersiedelten? Das Mittelmeer, Flora und Fauna, das milde Klima, die leichte mediterrane Kost sind durchaus sehr reizvoll und auf jeden Fall ein Kontrastprogramm zu unseren schönen bayerischen Bergen und Seen, Wiesen und Wäldern und manchmal deftigem Essen. Aber gerade was die Kost und das Klima angeht, so haben sich Bayern und die Provence doch schon ganz schön angenähert: Hitze in Vaterstetten – Sturm und Regen in Südfrankreich!

Bei einem unserer Aufenthalte in Allauch ergab es sich zufällig, dass genau zu diesem Zeitpunkt eine nette junge Vaterstettenerin im Rathaus von Allauch ihren französischen Freund heiraten wollte und unsere ganze Reisegruppe einschließlich unseres damaligen Bürgermeisters Peter Dingler bei der Trauungszeremonie anwesend sein durfte. Gespannt nahmen wir im großen Saal Platz, wo das Brautpaar und die Hochzeitsgesellschaft in den vordersten Reihen auf den großen Moment warteten. Plötzlich ertönte im Flur der laute Ruf: “Monsieur le Maire!” – “Der Herr Bürgermeister!”. Und zu unserem großen Erstaunen erhoben sich alle Anwesenden und applaudierten dem Bürgermeister bei seinem Eintritt in den Saal. Welch eine Ehrbezeugung!

Die Trauung verlief harmonisch als Gemeinschaftsaktion beider Bürgermeister mit Ansprachen in Deutsch und Französisch. Anschließend durften wir alle bei herrlichem Sonnenschein draußen mit einem Glas Sekt auf das junge Glück anstoßen, und bald danach machten sich das frisch getraute Paar und die Hochzeitsgesellschaft auf den Weg zur großen Feier.

Es war Juni, Zeit der Lavendelblüte, und genau dort sollte das Fest stattfinden. Im Lavendelfeld, zwischen den herrlichen Reihen dunkelvioletter Blüten, war die Festtafel lange im Voraus wunderschön hergerichtet worden – welch Idylle!

Doch “unverhofft kommt oft”! Während es in Allauch Traumwetter war, hatte sich über dem Lavendelplateau von Valensole bereits der Mistral erhoben, ein kräftiger, kalter, unerbittlicher Wind – besonders unerbittlich, wenn es um das Abdecken einer festlich gedeckten Tafel geht! Uns ist nicht bekannt, wo so schnell ein Ausweichlokal gefunden wurde – Improvisation ist alles!

Wir vom Allauchkomitee hatten uns aber eines gemerkt: Als bei unserer nächsten Komiteesitzung im Rathaus Vaterstetten Bürgermeister Dingler sich dem Sitzungssaal näherte, rief einer von uns “Monsieur le Maire!” und bei seinem Eintritt erhoben wir uns alle und applaudierten!

Rosette und Gilberte

Die Partnerschaft Vaterstetten-Allauch hatte uns gleich von Anfang an interessiert, doch erst 1985 trauten wir uns, Gastgeber für Franzosen aus der Partnerstadt zu werden. Die Kinder waren 8 und 5, wir um die 40 und fühlten uns sehr jung! Wann immer ich an unsere zukünftigen Gäste dachte, sah ich im Geiste ein etwa gleichaltriges Ehepaar vor mir oder eine Mutter mit ähnlich alten Kindern, die bei uns eine Woche verbringen würden. Ich gebe zu, dass ich enttäuscht war zu hören, dass unsere Gäste 2 Damen 65+ sein würden – das kam mir ganz schön “alt” vor. Jetzt – selber Ende 70 und topfit – weiß ich, dass die beiden damals noch SEHR JUNG waren!

Aber dann sagte ich mir, wer “in dem Alter” noch so lange Reisen mit dem Bus macht und bei Unbekannt übernachtet, ist sicher an der Städtepartnerschaft, an Deutschland, an München, an uns interessiert. Und natürlich war es genauso. Rosette aus Château Gombert bei Allauch und ihre Freundin Gilberte aus Marseille waren uns und auch unseren Kindern gleich sympathisch. Als Gastgeschenk hatten die beiden uns ein Santon-Pärchen mitgebracht, über das wir uns sehr gefreut haben. Denn damals gab es noch keine provenzalische Krippe im Rathaus Vaterstetten, und diese wundschön gekleideten Tonfiguren kannten wir noch nicht.

Wir verbrachten eine sehr nette Woche mit vielen Gesprächen zusammen, und als vom 2. Tag an unsere Spülmaschine streikte, hatte ich willige und versierte Helferinnen zur Seite. So manche Leserin wird sich daran erinnern: Gemeinsames Abwaschen führte in der Küche schon immer zu netten Plaudereien und Gelächter und war eigentlich gar nicht “schlimm”! Alles in allem war es eine wunderbare Erfahrung, unsere Gäste wurden zu Freundinnen, und als die Gegeneinladung für uns ausgesprochen wurde, waren wir gleich Feuer und Flamme.

Im Folgejahr machten wir uns also privat auf den Weg, um als 4köpfige Familie bei Rosette “einzufallen”. Ihr Haus war klein, aber am Abend wurde einfach das Wohnzimmer durch ein gemütliches Matratzenlager zu unserem Schlafzimmer umfunktioniert, wo wir alle Platz fanden. Wenn wir nicht wirklich gut geschlafen haben, so lag das an uns bis dato unbekannten lauten Geräuschen, die durch das offene Fenster die halbe Nacht an unsere Ohren drangen. Des Rätsels Lösung: Die gesamten Frösche der nachbarlichen Gärten – alle mit Pool oder kleinem Teich – hatten sich vorgenommen, uns mit einem Konzert zu erfreuen! Doch der nächste Tag ließ das alles schnell vergessen. Es war der 6. Geburtstag unserer Tochter, und Rosette und Gilberte hatten ein wunderbares Verwöhnprogramm für uns geplant – Indianerdorf bei Marseille, Picknick am Waldesrand, Ausflug ans Meer – besser hätte es gar nicht sein können mit unseren “alten” Damen aus der Provence! Und eigentlich wäre die Geschichte hier zu Ende, wenn sie nicht unverhofft noch weitergegangen wäre.

Als ich vor einigen Jahren auf dem Weihnachtsmarkt in Allauch mit einem sehr netten jungen französischen Ehepaar über die schönen Erlebnisse während dieser langen Städtepartnerschaft sprach und auch diese kleine Auftaktgeschichte berichtete, stellte sich heraus, dass Rosette die Großmutter dieses jungen Mannes war. Spontan rief er sie an und ich konnte mit ihr sprechen. Sie erinnerte sich nach den vielen Jahren nicht mehr so genau an die Einzelheiten, aber doch noch an unseren Besuch – 4 Personen, das war doch damals ganz schön happig! Rosette war inzwischen über 90 Jahre, und dieses Telefongespräch nach so langer Zeit war für uns alle ein sehr bewegender Moment.

Der Allauchverein trauert um 3 Weggefährten – Januar 2023

Der erste Monat dieses Jahres hat kurz nacheinander drei Personen aus unserer Mitte gerissen, die die Partnerschaft mit Allauch lange und engagiert begleitet haben – wir sind darüber sehr traurig.

Am 05.01. musste unser Freund Franz Stephan uns verlassen. Als langjähriges Vorstandsmitglied des Bogenschützenvereins hatte er sich seit vielen Jahren dafür eingesetzt, dass französische und deutsche Jugendliche und Erwachsene in die Kunst des Bogenschießens eingeführt wurden – wir verdanken ihm so manche schöne Freundschaftsbegegnung mit den Bogenschützen hier und in Allauch. Er wird uns allen fehlen. 

Am 07.01. erreichte uns die Mitteilung über das Ableben des Malers Heinz Leutloff. Auch er war ein großer Freund der Partnerschaft mit Allauch, hatte mehrfach an Gemeinschaftsausstellungen mit den Franzosen hier und in Allauch teilgenommen und ließ sich gern von der schönen provenzalischen Landschaft inspirieren. In Vaterstetten war er zusammen mit seiner Frau mehrfach Gastgeber für unsere französischen Besucher. Wir werden gern an ihn zurückdenken.

Am 30.01. ist unsere langjährige Freundin Barbara Erbse aus dem Leben gerufen worden. Barbara war Gründungsmitglied des Allauchvereins und einige Jahre auch im Vorstand aktiv. Sie war immer bereit zu helfen und die Verbindung zum hiesigen Bouleverein zu intensivieren, denn die Partnerschaft mit Allauch lag ihr sehr am Herzen. Als Künstlerin hinter der Kamera hielt sie alles fest – ihre unendlich vielen schönen Fotos zeugen davon, dass sie fast an jeder Veranstaltung teilnahm, soweit es ihre Gesundheit erlaubte. Wir werden sie überall vermissen.

Wir sind dankbar, dass diese drei Personen uns ein Stück des Partnerschaftsweges begleitet haben und werden ihnen ein ehrendes Andenken bewahren.

Ende gut, alles gut!

Die letzten Highlights zum Jahresende sind für die Partnerschaftsvereine die Christkindlmärkte. Regelmäßig zum 1. Advent wird bei uns in Vaterstetten die provenzalische Krippe im Rathaus aufgebaut, und gleichzeitig findet ein schöner Weihnachtsmarkt statt. Mit großer Freude kommen dazu alljährlich Mitglieder des französischen Komitees und bieten an ihren Ständen provenzalische Spezialitäten an. Da duftet es nach Lavendel und Seifen, nach Kräutern der Provence und Fischsuppe, da leuchten bunte Tischdecken, Schürzen und Handtücher, umgeben von Lavendelhonig, Wein, rotem Reis, Olivenpaste, Konfekt, Calissons und vielem anderen. Die Vaterstettener warten schon immer ungeduldig auf diesen Termin, um die Vorräte aufzufüllen und nette Geschenke einzukaufen, und so mancher ist froh, dass nach dem Marktwochenende an der Krippe im Rathaus außer schönen Postkarten auch noch restliche Produkte aus Frankreich zu haben sind.

Wenn wir kurz darauf zum Weihnachtsmarkt nach Allauch reisen, geht es uns genauso. Wir werden sehnsüchtig erwartet, denn unsere französischen Freunde lieben alles, was wir anbieten: köstliche Weihnachtsplätzchen – gebacken und spendiert von fleißigen Vereinsmitgliedern und Allauchfreunden -, weißen Glühwein und “Amour chaud” (“Heiße Liebe”) – ein heißer Bratapfeltrunk mit Schlagsahne – und natürlich all die schönen Produkte, die weihnachtliche Stimmung verbreiten. Sobald uns der genaue Termin für den Markt vom französischen Komitee bestätigt wird, buchen wir unsere Flüge, um günstige Preise zu nutzen.

Im Jahre 2014 erlebten wir allerdings bei der Ankunft eine Überraschung: Der Weihnachtsmarkttermin war kurzfristig auf das Folgewochenende verschoben worden – vor uns lag der “Tag des Esels”! Da standen wir nun mit unseren Adventskränzen, Gestecken und weihnachtlichen Produkten und den gebuchten Rückflugtickets. Wir hörten, dass der “Tag des Esels” ein großes Fest sei zu Ehren dieser Tiere, die in den Hügeln von Allauch wichtige Dienste leisten. Es würde Verkaufsstände an den Straßen geben, einen folkloristischen Umzug, viel Musik und einen Eselsmarkt. Mit etwas Überredungskunst erlaubte uns der Organisator die Teilnahme und stellte uns einen kleinen Stand zur Verfügung. Adventskränze und Weihnachtsdeko wurden ausgebreitet, und während überall neben uns kulinarische französische Spezialitäten angeboten wurden, fielen wir mit unserer Ware ziemlich aus dem Rahmen! Aber dadurch wurden die Besucher auf uns besonders aufmerksam. Unser Stand war ständig umringt, viele nette Gespräche ergaben sich und der Verkauf lief bestens. Hinzu kam, dass neben uns der Ansager für die Lautsprecheranlage platziert war, der uns immer wieder interviewte, so dass selbst im hintersten Eck des Marktes jeder Besucher von der Partnerschaft Vaterstetten-Allauch und unserer Anwesenheit erfuhr.

Unser Warenbestand schmolz nur so dahin. Da wir uns aber ja auf 2 Weihnachtsmarkttage eingerichtet hatten, blieb dennoch allerhand übrig. So beschlossen wir, dass eine von uns den gebuchten Flug opfert und bis zum Folgewochenende bleibt – schließlich war ein großes Verkaufszelt für uns reserviert. Mit Hilfe des französischen Komitees wurde auch dieser deutsch-französische Stand ein voller Erfolg – wir waren bei Marktende ausverkauft.

So wurde aus dem ersten Schreck ein wunderbares Erlebnis – Ende gut, alles gut!

Das Bierfass, das 3500 km reiste

Wer nach Allauch reist, freut sich auf nette Menschen, auf Land und Meer, gutes Essen, köstlichen Wein und vieles mehr. Und wenn unsere Freunde aus der Partnerstadt zu uns kommen, dann sind es die netten Vaterstettener, die nahen Berge, Seen und Schlösser, die Biergärten und – natürlich – auch das Bier, was Vorfreude auslöst. Man muss nur einmal die Abfahrt des Reisebusses in unsere Partnerstadt miterleben: morgens um 5:30 Uhr wird Biertragl um Biertragl eingeladen, denn viele private Wünsche gilt es zu erfüllen. Selbst der neue Bürgermeister von Allauch, Lionel de Cala, der bisher noch nicht hier war, bekam vom deutschen Komitee “1/2 Meter Bier” geschenkt – eine kunterbunte Mischung von Biersorten als Vorgeschmack auf seinen Besuch bei uns.

Tradition ist es inzwischen bei der Partnerschaft Vaterstetten-Allauch, ein 30 Liter Fass als Gastgeschenk mit dem Bus nach Allauch zu befördern, damit bei einem der nächsten dortigen Feste frisch Gezapftes angeboten werden kann. Dazu muss es allerdings erst einmal tagelang gekühlt werden, was das Ozapfn oft länger verzögert als geplant. Und wenn dann plötzlich pandemiebedingt 2 Jahre keine Feste mehr stattfinden können, was dann? Wie lange hält sich eigentlich das Bier im Fass bei provenzalischen Temperaturen? Diese bange Frage wurde uns heuer vom französischen Komitee gestellt. Die Antwort von Fachleuten war, dass man es nach 2 Jahren warmer Lagerung einfach wegschütten solle, da ungenießbar. Diesen Rat gaben wir an unsere französischen Freunde weiter, mit der Bitte, uns das leere Fass bei der nächsten Reise wieder mitzubringen – schließlich war ein hoher Pfandeinsatz von uns gezahlt worden.

Als der Bus im Juli in Vaterstetten ankam, dachte keiner an das Fass, doch am Vortag der Abreise wurden endlich die Gepäckklappen wieder geöffnet. Viele leere Bierkisten kamen zum Vorschein, die alle gefüllt wieder zurückreisen sollten. Und dann kam das Fass: schwer wie zuvor, denn man hatte das Bier einfach drin gelassen. Mühevoll hievte der Chauffeur mit Hilfe einiger Komiteedamen das schwere Objekt auf eine Karre des Getränkemarktes. In diesem Moment kam die Freundin des Chauffeurs hinzu. Sie schaute mit großen Augen auf das Fass und wir erklärten, dass wir dafür nun, nach 2 Jahren, 50€ Pfand vom Getränkemarkt zurückerhalten werden. “Was? 50€ nur für so ein schönes Holzfass? Das kaufe ich!” rief sie spontan aus, “das passt perfekt zu meiner Wohnung als Tisch!” Wir waren alle perplex. Und eh wir’s uns versahen, zückte sie ihr Portemonnaie und übergab uns 50€.

Ihr Freund schleppte das Fass mühevoll und mit gedämpfter Begeisterung wieder hinein in den Bus. Dieses Bier würde nun zum 3. Mal 1170 km reisen, um seiner hoffentlich endgültigen und ungewöhnlichen Bestimmung zugeführt zu werden!

Ein Koffer geht auf Reisen

Fast jedes Jahr kommen im Juli unsere Freunde aus Allauch mit dem Bus nach Vaterstetten. Dann werden sie mit Brezn begrüßt, auf die Gastfamilien verteilt und eine schöne Woche mit Ausflügen und Festen liegt vor uns.

Doch es kann auch anders laufen! Für 20 Personen hatte sich in jenem Jahr ein Bus nicht rentiert, also kamen unsere Gäste mit dem Flieger von Marseille nach München. Wir beschlossen, sie am Flughafen abzuholen und gemeinsam mit der S-Bahn nach Vaterstetten zu fahren, Umstieg am Rosenheimer Platz. Am Flughafen verteilten wir uns im zweiten Waggon der S2 auf die freien Sitzplätze. Die Fahrt verging wie im Fluge, denn es gab unendlich viel zu erzählen. Als wir dann irgendwann riefen, dass nun beim nächsten Halt umgestiegen wird, schreckten unsere Freunde hoch und eilten zu ihren Koffern, die sie im Pulk zusammengestellt hatten. Dadurch befand sich fast die gesamte Reisegruppe vor einer einzigen Tür, als diese aufging. Jeder griff hektisch nach dem Koffer und drängte hinaus, um bloß den Anschluss nicht zu verlieren. Mitten in diesem Gewusel ertönte plötzlich der Aufschrei eines unbekannten jungen Mannes: „Mein Koffer!“ Und er, der gar nicht hatte aussteigen wollen, zwängte sich noch blitzschnell durch die sich bereits schließende Tür nach draußen und stürzte sich auf einen Koffer inmitten der Franzosengruppe. Schnell klärte sich alles auf – eine unserer Freundinnen hatte den falschen Koffer gegriffen! Zum Glück nahm der junge Mann es mit Humor, sagte auf Französisch „pas de problème“ – kein Problem – und wartete einfach auf die nächste S-Bahn.

Aber nun herrschte große Aufregung: Wo war denn der Koffer unserer Freundin? Tja, es gab nur eine Möglichkeit: Er war wohl in der S-Bahn geblieben, war allein auf Reisen gegangen, wohin auch immer. Wir beschlossen, dass alle außer mir nach Vaterstetten fahren sollten – ich hingegen machte mich auf die Suche nach dem guten Stück. Von einem MVV-Mitarbeiter kam die Auskunft: „Entweder wird der Koffer unterwegs entwendet, oder er fährt mit bis Pasing und von dort zum Fundbüro am Hauptbahnhof. Das hat aber jetzt schon geschlossen und öffnet erst morgen wieder. Doch wenn Sie sich beeilen, könnte er vielleicht noch in Pasing im S-Bahn-Häuschen auf dem Bahnsteig sein.“

Also auf nach Pasing! Und welch ein Glück: Schon durch das Fester der MVV-Kabine sah ich ihn stehen. Aber würde man ihn MIR überhaupt aushändigen? Die Lösung ließ mich staunen. Der Beamte fragte: „Gehören Sie zu der Reisegruppe, die am Flughafen im zweiten Waggon der S2 um 15.30 Uhr eingestiegen ist?“ Perplex bejahte ich – die Überwachung der Bahnsteige hat also doch was für sich! „Er“ und ich durften nun gemütlich nach Vaterstetten fahren.

Selten war ein „Merci“ so von Herzen kommend wie das der Freundin aus Allauch, als sie ihren Koffer endlich in Empfang nehmen konnte.

Das Geheimnis im Kofferraum

War es der Farbenrausch, der meine Sinne bei diesem Anblick vernebelte? War es der Duft, der mich alles vergessen ließ? So, dass ich meine gute Erziehung über Bord warf? Oder suche ich jetzt nur eine Entschuldigung, weshalb ich der Verlockung nicht widerstehen konnte? Zugegeben, ich hatte ein extrem schlechtes Gewissen, und habe dementsprechend nicht „sanft geruht“ in der Urlaubswoche.

Das kam so: Wir waren zum ersten Mal mit dem Auto unterwegs in die Provence mit Ziel Allauch. Unterwegs hatten wir leuchtende Mohn- und Sonnenblumenfelder sowie unzählige Ginsterbüsche bewundert, doch was dann auf einer Anhöhe zu sehen war, verschlug uns fast den Atem. Vor uns, seitlich rechts und links erstreckten sich blühende Lavendelfelder, soweit das Auge reichte – tiefes Lila-Blau bis zum Horizont, sozusagen grenzenlos und dazu betörend duftend. Damals, vor über 30 Jahren, war Lavendel in unseren Vaterstettener Gärten noch kaum zu sehen und in diesem Ausmaße sowieso unvorstellbar. Ob man da nicht vielleicht einen Strauß pflücken könnte? Kein Mensch, kein Auto war weit und breit in Sicht – mein Herz klopfte erheblich, als ich zur Tat schritt und bald einen dicken wunderschönen Lavendelstrauß in den Armen hielt. Schnell im Kofferraum verstaut, weitergefahren und tief durchgeatmet, wobei der starke Duft in unserem Auto meinem Mann durchaus nicht angenehm war und mich ständig an meine Missetat erinnerte.

Bei unseren Gastgebern angekommen, luden wir unser Gepäck aus, bevor sie uns zu Hilfe eilen und den Lavendel entdecken konnten, denn das wäre mir extrem peinlich gewesen. Während der folgenden Tage mussten wir unser Auto nicht benutzen, alle Ausflüge waren mit dem Bus organisiert, der in unserer Nähe hielt. So verging mit viel schönem Programm Tag für Tag, und wenn ich beim Heimkommen unser Auto sah, dachte ich sofort an „das Geheimnis im Kofferraum“. Doch wir ließen ihn lieber geschlossen, und ich malte mir in Gedanken aus, wie ich mit diesem traumhaften Lavendelstrauß einen Hauch von Provence auf unsere Terrasse zaubern würde…

Dann kam der Abreisetag, und möglichst unbeobachtet wollten wir unsere Koffer wieder einladen. Doch welch ein Schock, als wir die Heckklappe öffneten: Die heiße provenzalische Sonne auf unserem Kofferraum hatte ihr Werk vollbracht! Der feucht-frische Lavendel war bei sicherlich 40°C und ohne Frischluftzufuhr total verfault! Ob ich enttäuscht war? Eigentlich nicht wirklich – ich war sogar ein klein bisschen froh, dass mein unerlaubtes Tun damit sofort bestraft worden war! 

Entsorgt haben wir den Lavendel dann genauso diskret wie gepflückt.

Was tut man nicht alles für die Gäste aus Vaterstetten!

Unsere erste Gastfamilie in Allauch wohnte in einem schönen Haus, an dem sich bis unter das Dach eine traumhafte Bougainvillea hochrankte, eine wahre Pracht. Und gleich daneben – welch freudige Überraschung – befand sich ein Schwimmbad, ein Traum für Badenixen wie wir. Zur Familie gehörte auch eine Retriever-Hündin namens Océane, die uns sofort ins Herz schloss, als sie merkte, dass wir vorhatten, dieses Schwimmbad zu nutzen. Unseren Gastgebern war das Wasser nämlich noch viel zu kalt – nur 21°C! Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in Allauch, dass die Vaterstettener Gäste – wir! – schon vor dem Frühstück in das „eisige“ Wasser springen – die Bewunderung war uns sicher!

Océane hingegen war ganz unserer Meinung: Kaum hörte sie uns morgens im Treppenhaus, eilte sie zum Beckenrand, warf uns einen schnellen verschwörerischen Blick zu und schon war sie im Wasser. Sie begleitete jeden unserer Schwimmzüge auf Tuchfühlung – welch ein Spaß! Es war eine tolle Woche: Morgenbad zum Munterwerden, dann Ausflug mit der Reisegruppe, danach ein Bad zur Erfrischung, und immer mit Blick auf die außergewöhnliche Bougainvillea. Als wir am Ende des Aufenthaltes für das Folgejahr eingeladen wurden, waren wir sehr froh.

Doch wie es so ist im Alltag – das nächste Jahr kam irgendwie besonders schnell, vor allem für unsere Allaucher Gastgeber. Als wir uns dem Grundstück näherten, erspähten wir den Hausherrn schon von weitem, und zwar im Pool. Dass er ins “eiskalte” Wasser gestiegen war – kaum zu glauben. Doch dann sahen wir die Bescherung: Der Pool war wasserlos und – leider – zum Teil  auch kachellos! Was war geschehen? Aufgeschreckt bei dem Gedanken, dass bald die Gäste kommen, hatte sich Monsieur B. erst wenige Tage vorher daran gemacht, den Pool zu reinigen, damit rechtzeitig Wasser eingelassen würde für uns. Doch der Hochdruckreiniger hatte mehr Kraft, als den unzähligen kleinen Kacheln lieb war: Er katapultierte einen erheblichen Teil schön verstreut in den Garten. Nur gut, dass es Océane gab: Sie spürte in dem typisch provenzalischen Gebüschdickicht immer wieder Kacheln auf. Manchmal apportierte sie diese, aber meist musste der Hausherr aus dem Pool steigen und sie selbst einsammeln. Er war froh, als wir als zusätzliche Helfer eintrafen – nicht uneigennützig!

Welch Sisyphusarbeit, bis das Mosaik wieder komplett und festgeklebt war! Lange, lange waren wir alle beschäftigt, bis endlich Wasser eingelassen werden konnte. Und was soll ich sagen, das war dann wirklich ganz schön frisch und erforderte Charakter, auch für Nordsee-Erprobte Vaterstettener!

Was sein muss, muss sein!

Eine ereignisreiche Partnerschaftswoche in Allauch war zu Ende gegangen, und wir nutzten unser Privatauto, um auf der Rückreise noch einen kleinen Abstecher zur Mutter unserer Gastgeberin einzuplanen, die wir gut kannten. Es sollte eigentlich nur eine Stippvisite werden, doch schon draußen stieg uns ein verführerischer Duft von Rosmarin, Thymian und Knoblauch in die Nase – Madame hatte es sich nicht nehmen lassen, für uns ein provenzalisches Mahl vorzubereiten.

Auf dem einladend gedeckten Tisch standen zu unserer Beunruhigung für jeden diverse Gläser bereit. Es war heiß, uns war nur nach erfrischendem Wasser zumute, nach nichts anderem.

“Wie bitte? Ihr wollt keinen Aperitif?” Die Hausherrin war sichtlich irritiert und enttäuscht. So willigten wir etwas zögerlich ein, unser kühles Wasser mit einem ganz kleinen Schuss Pastis anzureichern, um unser Wiedersehen gebührend zu würdigen. Als wir jedoch weder zur Vorspeise noch zum Hauptgang Wein trinken wollten, sondern nur Wasser, da wirkte unsere Gastgeberin schon fast unglücklich. Natürlich war ihr klar, dass wir noch viele Autostunden vor uns hatten bis Vaterstetten – daher fügte sie sich traurig in ihr Schicksal. Angeregt berichteten wir von unserer schönen Woche in der Provence, in der uns das französische Komitee wieder verwunschene Orte, interessante Sehenswürdigkeiten und herrliche Strände präsentiert hatte, und von dem schönen Partnerschaftsfest als Abschluss. Wir waren uns einig, welch eine Bereicherung doch diese deutsch-französische Freundschaft für alle ist.

Schließlich kam der Moment der großen Käseplatte – immer ein Highlight bei den französischen Einladungen. Die Teller wurden ausgewechselt, das Baguette frisch aufgeschnitten und eine unglaubliche Auswahl köstlichen Käses stand vor uns. Das war der Moment, wo die Verzweiflung unserer Gastgeberin Überhand gewann: Es brach förmlich aus ihr heraus: “Und jetzt MÜSST ihr Rotwein trinken!” Wir waren so perplex über diese Vehemenz, dass wir lachend zusahen, wie unsere Gläser zumindest halb gefüllt wurden; das strahlende Gesicht unserer Gastgeberin beim Klang der Kristallgläser sagte alles: Die Welt war wieder in Ordnung.

Dass dies das einzige kleine Glas blieb und wir vor der Weiterreise noch eine längere Kaffeepause einlegten, versteht sich von selbst. Und dass Käse ohne Rotwein gar nicht geht, das auch – denn was sein muss, muss sein!

Der wundersame Wandergesell

Südfrankreich bietet herrliche Möglichkeiten für ausgiebige Wandertouren, und so war ich vor etwa 15 Jahren dort oft unterwegs. Da ich relativ gut Französisch spreche, freute ich mich sehr, eines Abends mit einem Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Er hieß Guy, kam aus Allauch und wollte zu den Pyrenäen wandern. Er berichtete mir von der wunderbaren Städtepartnerschaft mit Vaterstetten – seine ersten Gastgeber waren enge Freunde geworden, mit denen er sogar gemeinsam durch die USA gereist sei. Alles war so interessant, dass ich Guy spontan fragte, ob ich ihn ein paar Tage begleiten dürfe und ob er allein unterwegs sei. Ehrlich gesagt, verstand ich seine Antwort aufgrund des südfranzösischen Akzentes nur ungenau. Dass ich ihn begleiten durfte, ergab sich aus seinem erfreuten Nicken. Aber aus allem weiteren wurde ich nicht ganz schlau. Er sprach von seiner Frau, die ihm regelmäßig Pakete zur Stärkung schickt, die ihn täglich anruft, um ihn “ans Loben zu erinnern, denn ohne Kraftnahrung und ohne Lob geht gar nichts”. Ich tröstete mich damit, dass wir ja nun mehrere Tage zusammen wandern und mir schon noch ein Licht aufgehen würde.

Als ich am nächsten Morgen zum Treffpunkt kam, wurde alles klar: Nein, er war nicht allein, er hatte jemanden dabei, der viel Lob und Kraftnahrung brauchte: einen Esel! Seit seiner Wanderung nach Santiago de Compostela hatte er beschlossen, dass er sein schweres Gepäck nicht mehr allein tragen wollte, und da er in den Hügeln von Allauch ein kleines Häuschen mit Garten besaß, war ein schöner Platz für den Esel gesichert.

Wir verbrachten 3 wunderbare Tage miteinander, der Esel trug unsere Rucksäcke, wurde gelobt und kraftgefüttert, verlangte dennoch immer wieder Rücksichtnahme auf seinen eigenen starken Willen. Welch unvergessliches Erlebnis! Ich erfuhr auch von Guys nächstem Projekt: Er wollte mit seinem haarigen Freund nach Vaterstetten wandern, von dort sollte ihm jemand entgegenkommen, um dann gemeinsam mit ihm die Partnerstadt zu erreichen. Wie ich später hörte, konnte diese Tour aus Gesundheitsgründen nicht realisiert werden, was Guy extrem bedauerte! Noch heute bin ich in Kontakt mit Guy und inzwischen auch mit dem Partnerschaftsverein in Vaterstetten. Ich würde meinen Wanderfreund auch gerne einmal wiedersehen, aber Guy meint, es sei besser, sich so jung wie damals in Erinnerung zu behalten…