Eine Trompete bringt Frösche zum Schweigen

Es war in jenen frühen Jahren der Partnerschaft, als das Vaterstettener Bläserensemble (oder Bläserconsortium, wie es sich später nannte) noch 25 Buben und Mädchen umfasste. Regelmäßig während der Pfingstferien machte sich das Ensemble gemeinsam mit ihrem Maestro Helmuth Mußer nach Allauch auf. Bei jedem Besuch lag eine turbulente Woche vor ihnen, mit täglichen Musikdarbietungen: beim großen Begrüßungsfestessen im „Grande Salle de l’U.A.S.“, als Bigband bei der Fête de la Bière, im Freien auf dem Platz vor dem Rathaus, in Kirchen und Schulen in Allauch und Logis-Neuf, in Marseille und sogar in Aix-en-Provence.

In einer lauen Juninacht – das feierliche Konzert in der Kirche St. Sébastien mit deutsch-französischer Gemeinschaftsdarbietung von Beethovens Hymne an die Freude war nach viel Applaus und den obligatorischen Lobreden um Mitternacht zuende gegangen – fanden wir uns bei Freunden in Château Gombert, einem Vorort von Marseille, auf der Gartenterrasse wieder. Ich weiß nicht mehr, wer alles dabei war. Jung und alt, französisch und deutsch – es war eine bunte und fröhliche Gesellschaft. Tische wurden zusammengerückt, der Hausherr sorgte für Wein. Und während die Gastgeberin noch die Zutaten kredenzte – Käsewürfel, französische Salami, Oliven und andere kleine Köstlichkeiten – waren schon muntere Gespräche in Gang gekommen.

Nach so einem erfüllten Tag konnte nicht jeder für sich nach Hause gehen. Zu sehr waren alle nach dem Konzert noch „aufgeladen“, unter den Musikern war Manöverkritik angesagt und die Einheimischen hatten sowieso immer etwas Lustiges auf Lager. Doch zu so einer Sommernacht am Rande Marseilles gehört noch mehr: In den Platanen über uns zirpten die Grillen, untermalt vom dumpfen Brausen des nahen Großstadtverkehrs. Und im Gartenteich neben uns quakten viele Frösche. Es war eine gleichmäßige Lautkulisse, die aber niemand bewusst wahrnahm.

Bald ging ein Instrument von Hand zu Hand: Der Sohn des Hauses hatte das Flügelhorn seines Urgroßvaters herbeigeholt, ein Erbstück der Familie, um es Helmuth Mußer zu zeigen. Unsere provenzalischen Freunde hatten schon einige Lieder gesungen und gerade ein neues angestimmt. Was also lag näher als dass Helmuth Mußer die gute alte Trompete in Aktion zu setzen hatte. Er zierte sich zwar zunächst noch ein bisschen, aber dann stand er auf, und die ersten Töne zu einem Kabinettstück aus seinem unerschöpflichen Repertoire stiegen dem klaren Sternenhimmel entgegen. Im Hintergrund wurde es schlagartig still: die Frösche hatten aufgehört zu quaken. Erst jetzt bemerkten wir, dass es sie gegeben hatte. Die französischen Trinklieder hatten sie vorher mitnichten zum Einhalten bewogen. Das Trompetensolo war zu Ende, tosender Applaus, wieder Gespräche, Lachen, deutsch-französischer Lärm – aber die Frösche blieben still. Erst Minuten später, das Flügelhorn lag wieder auf dem Tisch, ging das Froschkonzert nach und nach wieder los, erst ein einzelner, dann wenige, dann wieder alle. Das Experiment wurde noch einmal wiederholt. Die Frösche lauschten andächtig zu Helmuth Mußers Trompetenklängen. Das Fest ging weiter:

Boire un petit coup c’est agréable,
boire un petit coup, c’est doux.
Mais il ne faut pas rouler dessous la table.
Boire un petit coup c’est agréable,
boire un petit coup, c’est doux.

... so bis in die frühen Morgenstunden.

Es gäbe noch viel zu erzählen: vom Strandleben in Cassis, von Ausritten und Stierkämpfen in der Camargue, vom Pont du Gard und Nîmes, von Arles, Avignon und Les Beaux und vom Picknick in Géménos. Leider auch davon, dass die Probenarbeit des Bläserconsortiums Vaterstetten vom tragischen Krebstod Helmuth Mußers im Mai 1986 überschattet wurde. Zur Beisetzung war eine Abordnung aus Allauch angereist. Sein Sohn Peter, und danach ein anderer Vaterstettener Musiker, Philipp Maas, betreuten in den darauffolgenden Jahren die jungen Bläser und ihre Konzerte daheim und bei ihren Auftritten in Allauch.

Die Partnerschaft hat schöne und traurige Ereignisse erlebt, sie hat uns alle, die mitmachten, angerührt, hat viele neue Bekanntschaften und nicht wenige Freundschaften fürs Leben hervorgebracht. Fürs angehende vierte Jahrzehnt wünsche ich ihr weiterhin Wachsen, Blühen und Gedeihen.

Im Bus das erste Mal nach Allauch

Ein Beitrag von Anna Föstl

Drei Jahrzehnte ist es nun her, da machte die Gemeinde Vaterstetten einen Aufruf an die örtlichen Vereine, wer denn gerne  zur Gründung einer Städtepartnerschaft mit zwei oder drei Personen an einer Busreise nach Südfrankreich teilnehmen möchte (Sprachkenntnisse nicht erforderlich). Allauch (sprich: Alloo) würde der Ort heißen, ganz nahe bei der großen Hafenstadt Marseille gelegen. Allauch sagte mir zwar nichts, aber eine Woche Südfrankreich das hörte sich doch gut an. Und wenn ich mich dann später im Bus so umschaute, war ich sicher nicht die Einzige die so dachte.

Die meisten Leute kannten sich über das Vereinsleben in der Gemeinde, und so kam auf der Hinfahrt bereits eine prächtige Stimmung auf. Nach 14 Stunden Busfahrt kamen wir müde und doch mit äußerst gemischten Gefühlen in Allauch an. Was wird uns da wohl erwarten? Wie sind die Franzosen uns Bayern gegenüber eingestellt? Man versuchte den Gedanken zu verdrängen, aber schließlich haben wir alle in der Schule über den Verlauf des Krieges gelernt und befürchteten doch Ressentiments uns gegenüber.

Rückblickend betrachtet war es für den Auftakt der Partnerschaft sicher das Beste, dass wir vom Gemüt her doch eher etwas zurückhaltende Bayern erst mal in Südfrankreich zu Gast waren. Wir warteten halt einfach, wie man dort mit uns umgehen wird. Unser Bus passierte das Ortsschild und wir freuten uns, ein so malerisches Städtchen eingebettet zwischen – die Franzosen nennen es Berge, für uns Bayern wohl eher Hügel zu entdecken. Wir steuerten auf einen großen Platz unterhalb des Friedhofs zu.
Dort hatten sich bereits alle unser Gastgeber zum Empfang versammelt. Grüne Flaschen und Schnapsgläser hatten sie in den Händen, und zur Begrüßung musste jeder gleich ein Stamperl Pastis trinken. Wie in Bayern üblich, wollten wir die neuen Freunde mit einem freundlichen "Grüß Gott" und einem festen Händedruck begrüßen. Aber so weit kam es erst gar nicht. Die erste Welle südländischen Temperaments schwappte uns entgegen, voller Herzlichkeit und völlig unkompliziert. Von wegen die Hand zum Gruß reichen?! Jeder wurde von jedem umarmt und bekam ein „baiser“ rechts und ein „baiser“ links. Auf gut bayrisch, obbusslt hams uns! Und keiner kam ihnen aus. Angefangen bei unserem damaligen Bürgermeister Martin Berger bis hin zum Schützenmeister, dem Sepp Maier aus Neufarn (der sich allerdings als erster an diesen neuen Gruß gewöhnte).

Die Herzenswärme, die uns da entgegen kam war sicher noch wärmer als die Sonne über Allauch. Unsere bayrische Zurückhaltung hielt sich da auch nicht mehr lange. Bereits am nächsten Morgen begrüßten sich die Vaterstettener mit „ça va“ und „baiser links und baiser rechts“, wie sie es gelernt haben. Als wir eine Woche später zu Hause von unseren Familien und Freunden abgeholt wurden, wollten diese es kaum glauben: Sie trafen auf die erste "Bussi Bussi" - Gesellschaft von Vaterstetten.

Echte Freunde

Mein neunjähriger Sohn Jan und ich wohnten bei unserem ersten Allauchbesuch bei Nathalie und Gerald Ambrosino. Die beiden haben zwei Söhne Adrian und Axel, von denen einer ein Jahr jünger als Jan und der andere ein Jahr älter als Jan ist. Die drei Buben verstanden sich auf Anhieb gut und obwohl weder Jan französisch noch die anderen beiden deutsch sprachen, fanden sie eine gemeinsame Ebene der Verständigung. Manchmal sprach Jan in Ermangelung der Sprachkenntnisse deutsch mit französischem Tonfall und Adrian und Axel antworteten ganz verständig "oui, oui" und nur in Ausnahmefällen kamen sie, um sich etwas übersetzen zu lassen.

Eines Abends, es war schon spät  - wir Erwachsenen hatten die Kinder schon lange zu Bett gebracht und hatten anschließend noch ein Glas Wein getrunken –  und wir wollten nun auch zu Bett gehen, denn am nächsten Morgen wartete auf meine Gastgeber der Büroalltag und auf mich ein spannendes Ausflugsprogramm. Ich schaute, wie zuhause auch bevor ich zu Bett ging, in Jans Zimmer, ob alles in Ordnung ist. Doch, Jans Bett war leer und Jan war nirgends im Zimmer zu finden. Sofort machten Nathalie, Gerald und ich uns auf die Suche, denn eigentlich konnte er ja nicht weit sein und siehe da: Wir fanden sie alle drei friedlich zusammen schlafend in Adrians Bett. 

Als wir nach einem innigen und herzlichen Abschied nach Deutschland zurückgefahren sind, sagte Jan ganz stolz zu mir: „Mama, ich habe in Frankreich Freunde!“

Jan, der zuvor noch nie in Frankreich gewesen ist, war von Frankreich als Land begeistert. Und es war für ihn ein Ansporn, sich auf die Klasse zu freuen, in der er dann endlich französisch lernen darf, um sich mit seinen Freunden noch besser unterhalten zu können. Und er freut sich jedes Jahr darauf, seine französischen Freunde endlich wieder zu sehen.