Das erste Bierfest in Allauch

Anfang Juni 1985 fand das erste Bierfest in Allauch statt. Eine Bigband unter Leitung von Helmuth Mußer reiste in die provenzalische Partnerstadt. Damals konnte noch niemand ahnen, dass sich daraus eine Tradition entwickelt, die bis heute ihren Fortbestand mit der Ammerthaler Blasmusik hat, die nun auch schon über 20 Jahre das Allaucher Publikum begeistert.

Günter Glier erinnert sich an die Anfänge:

Zuerst ein paar Worte zu Helmuth Mußer: Ich fand ihn einfach genial. Er brachte es fertig, aus seinen eigenen Musikschülern und denen seiner Söhne eine Jugend - Bigband aufzubauen. Und nicht nur das, er arrangierte die Stücke so geschickt, dass er aus der verfügbaren Besetzung (Klarinetten, Querflöten, Trompeten, Posaunen) einen Klang herausholte, der die bekannten Highlights sehr treffend wieder gab. Ich selbst bin mit meiner Bassgitarre als „Quereinsteiger“, noch dazu etwas älteren Baujahres, in die Band eingetreten. Dabei war auch Manfred Guist (Schlagzeug) und später Andreas Ruoff (Gitarre), der gemeindliche Standesbeamte. Wir stellten zusammen die Rhythmusgruppe.

Irgendwann wurde bekannt, dass wir für das allererste Bierfest in Allauch erwünscht waren und die Vorbereitungen drängten. Dazu gehörte auch die Übung, während des Marschierens Musik machen zu können. Plötzlich tauchte aus dem Nichts eine riesengroße Trommel auf, die vom Apotheker am Bahnhof Vaterstetten gespendet war. Da es nicht möglich war, während des Marschierens mit der Bassgitarre zu spielen, fiel das Los auf mich. Eine sehr unangenehme Aufgabe, es fehlte nämlich das Tragegeschirr. Also kurzum einen breiten Gürtel in das Gestänge eingehakt und auf ging’s zum Proben auf der Reitsberger - Wiese. Ein ganz neues Geh-Gefühl! Vor dem Bauch die große Trommel, obendrauf das Becken für die scharfen Klänge und ein dicker Klöppel zum Draufhauen! Als ich wieder zu Hause war, konnte ich mich eine Stunde lang nicht mehr bewegen, so hatte mich der Gürtel am Nacken eingedrückt. Allmählich lernte ich, die Trommel während des Marschierens ohne Musik mit den Händen etwas anzuheben, dann war die Last erträglich.

Und dann hieß es: Wir fahren nach Allauch, dort wird ein Bierzelt im aufgelassenen Steinbruch aufgebaut und es soll ein Bierfest à la Bavaria veranstaltet werden! Das bedeutete aufmerksames Proben, damit wir uns nicht blamieren und den Franzosen reine Klänge zum süffigen Bier anbieten können. Unser Repertoire bestand nämlich aus drei Teilen: Den bekannten Stücken aus der Nachkriegszeit, die amerikanisch dominiert waren, dann etliche Märsche samt klassischer Musik und den so genannten „Oberkrainern“, das war die zünftige Musik, genau für das Bierfest geschaffen.

Schließlich war es so weit: Wir stiegen in den Bus und fuhren die Nacht durch, das war damals so üblich, auch übel! Eingeklemmt zwischen den Sitzen, deren Lehnen auf „Ruhen“ gestellt waren und dem Schaukeln der Karosse und dem Gaswechseln des Fahrers ausgeliefert. Wer es besonders bequem haben wollte, legte sich bretteben auf den Boden des langen Durchgangs. Dort war der „Pulsschlag“ der Antriebsmechanik krachend (der Gang muss hörbar einrasten!) und röhrend Vertrauen erheischend zugange. Da wusste dann am Morgen jeder, was „gerädert“ in unserer Zeit bedeutet!

Am Nachmittag vor dem Bierfest sollten wir die Leute in Allauch auf das große Ereignis aufmerksam machen und marschierten deshalb blasend und trommelnd durch den Ort. Ich erinnere mich noch gut daran, dass in einer Musikpause wir an einer langen Eingrenzung aus Eisenstäben vorbei kamen und zwei gefährlich erscheinende Hunde uns ankläfften. Da nahm ich meinen dicken Klöppel, zog mächtig auf und drosch einen kräftigen Schlag auf die Trommel. Und siehe da, die beiden Großmäuler jaulten auf und verschwanden schnurstracks hinter dem Haus.

Nun zum Bierfest selbst: Es war ein erstaunlich großes Zelt aufgebaut, mit Hend’l-Braterei und den unverzichtbaren Bierfässern. Der Eintrittspreis war mit 100 Franc bombastisch, das waren immerhin so 35 DM, allerdings inklusive eines halben Brathend’ls und einer Maß Bier. Das hielt die Franzosen aber nicht ab, das Zelt wurde nach und nach total voll und wir spielten auf der großzügigen Bühne zunächst Märsche und die Stücke mit Bigband-Sound, was mit „In the Mood“ gipfelte. Das Publikum klatschte, aß die Hend’l und stürzte so manche Maß hinunter. Dann kam Freude auf, als wir auf die „Oberkrainer“ umsattelten.

Dazu folgende Beschreibung: Im Bereich vor der Bühne, also zwischen uns und den dicht gedrängten Leuten, war ein provisorischer Bretterboden ausgelegt, um den heißblütigen Freunden das Tanzen zu ermöglichen. Dieses Angebot wurde sehr dankend angenommen und dann geschah etwas völlig unerwartetes. Das Stampfen und Hüpfen auf den Brettern führte zu einer Art pneumatischer Pumpe. Der Sandboden des Steinbruchs erlebte seine Große Stunde und stieg in beachtlichen Schwaden durch die Ritzen des Bodenbelags nach oben. Innerhalb kürzester Zeit baute sich eine Staub-Barriere zwischen uns und den Biertischen auf. Erst nach einer längeren Pause zwischen den Musikstücken legte sich der Nebel wieder. Am Ende kam einer der musikalischen Höhepunkte auf mich selbst zu: als Solist am Xylophon hatte ich die Ehre, gemeinsam mit der Kapelle eines der Bravourstücke aufzuführen, nämlich den „Zirkus Renz“ ein sehr heftiges und für mich „arbeitsreiches“ Stück. Nach dem gelungenen Auftritt konnte ich den restlichen Abend entspannt weiter musizieren.

Eine Trompete bringt Frösche zum Schweigen

Es war in jenen frühen Jahren der Partnerschaft, als das Vaterstettener Bläserensemble (oder Bläserconsortium, wie es sich später nannte) noch 25 Buben und Mädchen umfasste. Regelmäßig während der Pfingstferien machte sich das Ensemble gemeinsam mit ihrem Maestro Helmuth Mußer nach Allauch auf. Bei jedem Besuch lag eine turbulente Woche vor ihnen, mit täglichen Musikdarbietungen: beim großen Begrüßungsfestessen im „Grande Salle de l’U.A.S.“, als Bigband bei der Fête de la Bière, im Freien auf dem Platz vor dem Rathaus, in Kirchen und Schulen in Allauch und Logis-Neuf, in Marseille und sogar in Aix-en-Provence.

In einer lauen Juninacht – das feierliche Konzert in der Kirche St. Sébastien mit deutsch-französischer Gemeinschaftsdarbietung von Beethovens Hymne an die Freude war nach viel Applaus und den obligatorischen Lobreden um Mitternacht zuende gegangen – fanden wir uns bei Freunden in Château Gombert, einem Vorort von Marseille, auf der Gartenterrasse wieder. Ich weiß nicht mehr, wer alles dabei war. Jung und alt, französisch und deutsch – es war eine bunte und fröhliche Gesellschaft. Tische wurden zusammengerückt, der Hausherr sorgte für Wein. Und während die Gastgeberin noch die Zutaten kredenzte – Käsewürfel, französische Salami, Oliven und andere kleine Köstlichkeiten – waren schon muntere Gespräche in Gang gekommen.

Nach so einem erfüllten Tag konnte nicht jeder für sich nach Hause gehen. Zu sehr waren alle nach dem Konzert noch „aufgeladen“, unter den Musikern war Manöverkritik angesagt und die Einheimischen hatten sowieso immer etwas Lustiges auf Lager. Doch zu so einer Sommernacht am Rande Marseilles gehört noch mehr: In den Platanen über uns zirpten die Grillen, untermalt vom dumpfen Brausen des nahen Großstadtverkehrs. Und im Gartenteich neben uns quakten viele Frösche. Es war eine gleichmäßige Lautkulisse, die aber niemand bewusst wahrnahm.

Bald ging ein Instrument von Hand zu Hand: Der Sohn des Hauses hatte das Flügelhorn seines Urgroßvaters herbeigeholt, ein Erbstück der Familie, um es Helmuth Mußer zu zeigen. Unsere provenzalischen Freunde hatten schon einige Lieder gesungen und gerade ein neues angestimmt. Was also lag näher als dass Helmuth Mußer die gute alte Trompete in Aktion zu setzen hatte. Er zierte sich zwar zunächst noch ein bisschen, aber dann stand er auf, und die ersten Töne zu einem Kabinettstück aus seinem unerschöpflichen Repertoire stiegen dem klaren Sternenhimmel entgegen. Im Hintergrund wurde es schlagartig still: die Frösche hatten aufgehört zu quaken. Erst jetzt bemerkten wir, dass es sie gegeben hatte. Die französischen Trinklieder hatten sie vorher mitnichten zum Einhalten bewogen. Das Trompetensolo war zu Ende, tosender Applaus, wieder Gespräche, Lachen, deutsch-französischer Lärm – aber die Frösche blieben still. Erst Minuten später, das Flügelhorn lag wieder auf dem Tisch, ging das Froschkonzert nach und nach wieder los, erst ein einzelner, dann wenige, dann wieder alle. Das Experiment wurde noch einmal wiederholt. Die Frösche lauschten andächtig zu Helmuth Mußers Trompetenklängen. Das Fest ging weiter:

Boire un petit coup c’est agréable,
boire un petit coup, c’est doux.
Mais il ne faut pas rouler dessous la table.
Boire un petit coup c’est agréable,
boire un petit coup, c’est doux.

... so bis in die frühen Morgenstunden.

Es gäbe noch viel zu erzählen: vom Strandleben in Cassis, von Ausritten und Stierkämpfen in der Camargue, vom Pont du Gard und Nîmes, von Arles, Avignon und Les Beaux und vom Picknick in Géménos. Leider auch davon, dass die Probenarbeit des Bläserconsortiums Vaterstetten vom tragischen Krebstod Helmuth Mußers im Mai 1986 überschattet wurde. Zur Beisetzung war eine Abordnung aus Allauch angereist. Sein Sohn Peter, und danach ein anderer Vaterstettener Musiker, Philipp Maas, betreuten in den darauffolgenden Jahren die jungen Bläser und ihre Konzerte daheim und bei ihren Auftritten in Allauch.

Die Partnerschaft hat schöne und traurige Ereignisse erlebt, sie hat uns alle, die mitmachten, angerührt, hat viele neue Bekanntschaften und nicht wenige Freundschaften fürs Leben hervorgebracht. Fürs angehende vierte Jahrzehnt wünsche ich ihr weiterhin Wachsen, Blühen und Gedeihen.